Es wäre undankbar, wenn ich nicht auch dem dritten in der Familiennachfolge eigentlich der zweite der Konditor AndresBuben in Erstein, ein kleines Gedenkblatt widmen würde. Um so mehr als dieser, Antoine mit Namen, nicht nur mein Onkel, sondern auch mein Pate, mein Pfetter war, wie man auf gut Elsässerdeutsch sagt.
An ihn kann ich mich ganz besonders gut erinnern, da wir zwei Jungen, mein ältester Bruder und ich, während einiger Jahre, als wir bereits "in der Stadt" wohnten, in der Sommerzeit, während der sogenannten grossen Ferien, einige Tage bei Onkel Antoine in Erstein verbringen durften, im Hause der Grosseltern das er, als Konditor Nachfolger seines Vaters, übernommen hatte. Uber der Tür des kleinen Konditor Ladens im "Gassel", hing immer noch die alte eglomisierte Glasplatte mit der Aufschrift "Telesphor Andres Konditorei".
Seines Zeichens also war Onkel Antoine Zuckerbäcker und führte als Spezialität die Herstellung von Lebkuchen nach einem Rezept, das lange ein wohlbehütetes Geheimnis war. Nach dem Tode des Onkels, allerdings, und da kein Nachfolger fur die Konditorei da war, wurde das Rezept an die nachsten Verwandten weitergegeben.
Aber keiner der gegenwärtigen Behüter dieses Rezeptes hat je die Feinheit und Schmack-
Onkel Antoine führte das Geschäft so schlecht und recht durch die bösen Vorkriegsjahre, was gewiB, mit seinen fünf Kindern zu denen im Sommer noch wir zwei Rangen kamen, keine geringe Aufgabe war. Zum Gluck hatte er eine idéale Frau gefunden, eine geborene Schwab, natürlich aus Erstein, ein Engel an Geduld, Langmut und Freundlichkeit, Tante Scholaste, eigentlich Scholastica, die Gelehrte. Auch Onkel Antoine war ein herzensguter Mensch, der versuchte uns "Bachele" von Backen wie er uns Knirpse nannte, den Aufenthalt in Erstein kurzweilig zu machen, ohne deswegen sein Geschäft zu vemachlässigen. Er konnte auch mal, wenn wir irgend einen allzu groben Unfug verbrochen hatten, in Zorn geraten. Dann verdrückten wir uns in die Ecken und die Tante war da, die nie ein Wort lauter als das andere sagte, um den erbosten Onkel wieder in stillere Wasser zu geleiten.
Die Liebhaberei des Onkels war das Basteln, seine Leidenschaft die Theatermeisterei. Mit einer Fachausbildung wäre er gewiB ein fabelhafter Theatermeister geworden. Es war ihm nur gegönnt der kleinen Bühne des katholischen Vereinshauses in Erstein als solcher vorzustehen. Der "Bangele" war einer der zahlreichen Vereinshäuser die um die Jahrhundertwende überall im Elsaß aufblühten und richtige kleine Kulturzentren christlicher Pragung waren.
Die noch, bis nach dem zweiten Weltkrieg die deutsche Hochsprache und den Dialekt pflegten unter der Aufsicht eines klarsehenden und heimatbewußten Klerus. Nach dem zweiten Weltkrieg verkummerten leider unsere elsäßischen "Bangele" langsam und wurden, nach und nach durch die "Maison de la Culture" oder "Centre culturel" ersetzt, in denen die französische Sprache allmählich aber unaufhaltsam Dialekt und deutsche Sprache verdrängten.
In diesem Theater also bekleidete Onkel Antoine die Rolle eines Theatermeisters, das heißt des Mannes, der fur ailes was Maschinerie und Spezialeffekte anbei verantwortlich ist. Fur jeden Bedarf fand er die Losung. Er hatte das größte Vergnügen daran, wenn ihm ein unbekannter Mechanismus in die Hand fiel, diesen auseinander zu nehmen und anschlieBend wieder zusammen zu setzen. Solch ein Bastler war fur den "Bangele" eine unersetzliche Kraft und Onkel Antoine hing mit Leib und Seele an seinem Theater zu dem sein altérer Bruder die Dekoration entwarf und ausführte und, mitunter, sein jüngerer Bruder ein Theaterstück schrieb.
Da ich Erstein als kleiner Junge schon verließ, hab ich die Glanzzeiten des "Bangele" nicht mehr gekannt, hörte aber staunend und bewundernd, altère Leute mit Ehrfurcht und Anerkennung von diesen vergangenen Zeiten sprechen.
Natürlich hatte sich Onkel Antoine in seinem Haus selbst eine Bastelstube, eine "Büdik", eingerichtet, bestens ausgertistet mit Hämmer aller Art und Größe, Sägen, Nageln, Schrauben, Raspeln, Feilen, Hobeln und derlei Werkzeuge mehr, die unsere Kinderfantasie aufs Hochste erregten. Wir haben mehr denn einmal diese "Büdik zunderscht, zewerscht" gebracht, uns aber vorsorglich aus dem Staube gemacht, bevor ein Donnerwetter ausbrach.
Stadtjungen auf dem Lande
Fur uns Stadtjungen waren diese Sommerwochen willkommene Gelegenheit der elterlichen Aufsicht und Vorsicht zu entschlüpfen. In Erstein ging ailes viel freier und entspannter, "leschör" wie die österreicher sagen, vor sich. Zum ersten und das ist durchaus positiv, konnten wir in Erstein unsere Dialektkenntnisse bereichern, da wir in der Stadt, schon damais und sintemal die Mutter aus einer frankophonen Ecke des Ländchens stammte, nämlich aus Steige, mehr Französisch als Elsäßerdeutsch sprachen. Was, nebenbei bemerkt, beweist, wie sehr doch die Eltern dafür verantwortlich sind, wenn unser Dialekt verschwindet.
Die Entspannung begann schon gleich beim Zubettgehen. Da soviel Betten wir waren immerhin fünf Buben und zwei Mädchen nicht vorhanden waren, dienten den einen die Matratzen, am Boden ausgelegt, den anderen die Federgestelle, sorgfältig mit Kissen abgepolstert, als Schlafstätten. Daß unter solchen Verhältnissen auch einmal eine regelrechte Kissenschlacht entbrannte, braucht wohl nicht besonders erwähnt zu werden. Wenn der Onkel dann von unten die Schlafzimmer waren im ersten Stock die Stimme erhob, dann wurde es still und wir sanken aile rasch in den Schlaf.
Tante Scholaste sorgte fur das leibliche Wohl. Hungrig waren wir immer, aber gehungert haben wir nie. Im Gegenteil es schmeckte ailes viel besser als zu Hause, wie das nun einmal bei Kindern meistens der Fall ist. Wenn wir abends, abgekämpft und müde, vom Brühli nach Hause kamen, fielen wir wie die Ausgehungerten über die mächtigen "Aepfel oder Quatschelbriehli" her, die wahrscheinlich diese Benennung trugen weil sie uns fast so groß erschienen als unser Spielplatz der Brühli. Sie waren immens, da sie auf dem selben Blech gebacken wurden wie die Lebkuchen und die waren sehr groß, natürlich auch im selben Backofen.
Der Konditor
Das Wort ist, wie so viele andere, aus unserem Wortschatz verschwunden. Heute heisst das Pätissier und selbst drüben liest man das Wort nicht selten auf den Geschäftsschildern. Es ist schade, dass es verschwunden ist, es ist ein lateinisches Wort, dessen Bedeutung etwas poetisches an sich hat und heisst so viel wie Gründer, Sänger. Es ist sogar der Name einer Gottheit, die der Nahrungsreserven.
Die Konditorei war also doch die Hauptbeschäftigung des Onkels und wir Jungen haben mehr denn nur einmal von den Süssigkeiten die aus der Backstube kamen oder im Geschaft so verlockend ausgestellt waren, genascht, wohlbemerkt mit obligater Erlaubnis. diese Tätigkeit des Onkels habe ich nur so beiläufig mitbekommen. Denn wenn wir da waren, widmete er uns einen Teil seiner Zeit und wenn er arbeitete, waren wir ausser Hauses.
Ich kann nur sagen, daß wenn er mit einem heiBen Blech voiler wohlriechender Lebkuchen aus der Backstube in die Wohnstube zu trippeln kam, ihm niemand in die Quere kommen durfte. Und das war wohl schon so bei Grossvater gewesen. Wenn Lebkuchen gebacken wurden, verbreitete sich im ganzen Haus ein Wohlgeruch von Honig und Gewürzen, daß einem das Wasser im Munde zusammenlief.
Wenn wir, im Sommer, unverhofft, im Gassel auftauchten, ließ sich Onkel Antoine gerne dazu verleiten, uns ein Eis zuzubereiten. Damais gab es noch keine Maschinen und Spezialprodukte, Ersatz, um das Eis herzustellen. Es wurde in einer Metalltrommel aus Rahm und Zucker zubereitet, eine Trommel die wir, mit Begeisterung in einem mit Eisklötzchen gefüllten Kübel solange von Hand kurbelten bis das Eis steif wurde. Aber es war auch viel besser als was heute so an den Eisstanden verkauft wird. In meinem Leben habe ich kein besseres VanilleEis gegessen als das vom Onkel hergestellte. Ich hatte aber auch tapfer an der Kurbel gedreht, was ich heute nicht mehr tue.
Der Spielkamerad
Onkel Antoine sorgte fur den Unterhaltungsteil unseres Ersteiner Aufenthalts, wenn ich so sagen darf. Er war dann wie ein groBer Kamerad, voiler Witz und Humor, voiler Einfälle auch. Unser abgemachtes Ziel war der schon genannte Brühli, damais diese große Wiese die am östlichen Dorfrand liegt, zwischen dem Kanal, dem Krittwald und dem Krittdichel in dessen klaren, seichten Wassern wir in heiBen Sommertagen Kühlung suchten. Sie lag da, ausgebreitet wie eine Steppe im Far West. Dort spielten wir stundenlang, durch die eifrige Lektüre Karl May's unterrichtet, "Indianerlis", manchmal auch "Räuber und Gendarmen", nach den famosen Olympischen Spielen von 1936 Jesse Owens ! , trugen wir dort sogar denkwürdige athletische Wettkämpfe aus, in Speerwerfen, Wettrennen, Hoch und Weitsprung.
Onkel Antoine war selbstredend nicht immer dabei, aber wenn er dabei war, als Mentor, Schiedsrichter oder Moderator, schien ailes kurzweiliger. Er schnitzte uns schöne Spazierstöcke im Wald, fertigte uns Schleudern an und vertrieb uns mit dem bissigen Rauch seiner Pfeife die Schnaken an denen es, besonders im Krittwald, nicht fehlte. Die Dorfgrenze, wenn wir rauszogen, lag ungefähr beim "Fincketürmel" von dem hier ein andermal die Rede sein soll. Danach begann das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, der Abenteuer, der Fantasie, und wir waren wohl nicht besonders erstaunt gewesen wenn plötzlich Winnetou und Old Shatterhand selbander aus dem Wäldchen auf uns zuzureiten gekommen waren.
Fur uns wurde dieses Wäldchen zu einem undurchdringlichen Dschungel an dessen Lianen wir uns waghalsig in die Lüfte schwangen, da wo heute gelehrte und besorgte Naturfreunde versuchen, den Stadtleuten die Natur wieder etwas bekömmlicher zu gestalten. Hier lebten wir damais quasi an ihrem Busen. Es spielte sich meistens ailes auf der linken Seite des Kanals ab, ein Abfluß kanal, der kurz vor Krafft durch die sinnvolle Nadelwehr abgesperrt war, eine durchaus einfache Art von flexiblem Stau, dank dem man, nach heftigen Regenfällen, den Zug des Wassers durch Heraus-
Verwegene Kahnpartien
Um Erstein herum bilden verschiedene, natürliche oder künstliche Wasserläufe ein weitver-
Schon der Hinweg, durch das damais sonnverträumte Erstein, damais noch ausgesprochenes Bauerndorf, war verschieden. Dieser Weg ftihrte zum "Schiffbaier", etymologisch wahrscheinlich eine Verschleifung von Schiffbauer. Dieser Handwerker baute damais noch die langen Kähne mit flachem Boden, mit denen die Riedfischer auf den zahlreichen Wasseradern ihrem damais noch erträglichem Beruf nachgingen. In diesen Jahren und doch auch noch nach dem zweiten Weltkrieg, wurden in allen Gaststätten im Ried, groß oder klein, von Plobsheim bis Marckolsheim und wohl noch weiter südlich die knusprigen "Bachfischle" serviert, die in den eigenen Gewässern gefischt wurden. Heute werden sie, wie behauptet wird, aus dem Osten eingeführt.
Meinem Onkel Antoine zum Gedenken
Auteur : Gabriel ANDRES
Publié par la S.H.Q.C. tome 19
Der Schiffbaier hatte seine Handwerksstube an der Ill, fast am sogenannten "Müergiesse". Schon eine gute Weile bevor wir dort anlangten, war die Luft von einem würzigen Holz und Teerduft durchschwängert. Und wenn wir ankamen, stand dort fur uns immer solch ein Kahn zur Verfügung. Die frohe Kinderschar stieg ein. Aber erst wenn aile schon ruhig, eng aneinander gepfercht auf den Brettern sassen, ergriff Onkel Antoine, immer mit dem dampfenden Pfeifchen im Munde, das lange Stechruder, am unteren Teil mit einem Zweizack bewehrt, und stieß den Kahn vorsichtig vom Ufer weg, in die "hohe See".
So kam es mir zumindest vor. Der Kahn wurde, dank dieses Ruders, das in den schlammigen Grund gestoBen wurde, fortbewegt, ein Ruder das, wenn das Schifflein auf dem Wasser dahinglitt, herausgezogen und etwas weiter wieder in das Wasser und in den Grund gestoßen wurde. So ging es Krafft zu. Das erste Hindernis, das es zu überwinden galt, war die Schleuse. Das war dann wieder etwas ganz Erstaunliches. Langsam glitt der Kahn in die Schleuse, deren Wände wie gewaltige Klippen rechts und links nach oben strebten. Onkel Antoine stieg aus und schloß die Schleuse hinter uns. Dann üeßer das Wasser vorne langsam eindringen und In diesen fiachen Kahnen wurden die Schiffpartien ausgeführt.
Der Kahn hob sich an den Wänden hoch bis wir endlich über die Schleusemauer blicken konnten. Dann wurde die Schleuse vor dem Kahn langsam geöffnet und der Kahn lag in der gewünschten Wasserhöhe, glitt sanft hinaus in die Wasserfläche. Fur uns, die wir es gewohnt waren wie toile junge Hunde uns auf dem Bruhli auszutoben, war es ein seltsames Gefuhl, so still beieinander, fast regungslos, auf dem Wasser dahin zu schweben.
Aber im Wasser war gar viel zu beobachten, eine neue Welt die wir mit Staunen entdeckten. Da waren die Wasserspinnen, die mit unglaublicher Behendigkeit auf ihren haardünnen Beinen über das Wasser flitzten. Da waren die durch das Nahen des Bootes aufgeschreckten Fische, die mit schlagender Schwanzflosse sich in das nächste Uferloch verkrochen. Da flimmerten im Sonnenschein die stahlblauen Flügel der Libellen die, wie unbeweglich, in der Luft zu hängen schienen.
Die beinahe weihevolle Stille, die uns umgab, wurde kaum durch das Gurgeln des Wassers an den Kahnflanken oder beim Herausziehen und Hineintauchen des Ruders gestört. Selbst die Vogelwelt verhielt sich ruhig. Man hörte nur, von Zeit zu Zeit, das rasche, wiederholte Schlagen eines Spechts der in der rissigen Rinde alter Baume nach Leckerbissen suchte. Manchmal auch erklang in tiefer Waldesferne der melancholische Ruf des Kuckucks. Wenn von weitem eine Wasserrose auf dem ruhigen Wasser erschien, hefteten sich unsere Augen wie gebannt auf die blendend weisse Blume, zog sie dann an uns vorbei, verrenkten wir die Hälse und schauten ihr nach bis sie im Flimmern des Wassers und der Sonne sich auflöste.
Links im Bilde, auf der anderen Seite des Wassers, lag die Werkstatt des "Schiffbaiers".
Die stillen Wasser